Dieser Artikel bietet einen Überblick über das künstlerische Ausbildungssystem in Belarus und erklärt einem Unkundigen Binsenwahrheiten seiner Struktur. Der Artikel hat keinen enzyklopädischen Anspruch und gibt eine allgemeine Übersicht über das Thema, ohne auf Einzelheiten einzugehen.
Vorwort…
Häufig hört man solche Worte wie „eure Tradition“, „belarussische Tradition“… Oder „deutsche Tradition“, „französische Tradition“, „tschechische Tradition“… All diese Aussagen enden mit dem Seufzer: „Das ist doch die Schule!“ Oder etwa mit den Worten „so eine Schule haben die.“
Unter dem Wort „Schule“ versteht man in der Regel ausschließlich lokale Traditionen. Es wird aber vergessen, dass dieses Wort das Schulwesen bezeichnet. Die Schule ist ein Ort, wo junge Leute Kenntnisse über Welt, Kunst und sich selbst bekommen. Das, was sie in ihrem Leben später machen werden, hängt in vielerlei Hinsicht davon ab, was ihnen dort beigebracht wird.
Bei Gesprächen mit ausländischen Kollegen entstehen Fragen gerade über diese Schule: Was wird euch beigebracht? Wie wird unterrichtet? Wozu?
Um den ausländischen Kollegen das Verständnis der zeitgenössischen belarussischen Kunst zu erleichtern, erscheint es mir sinnvoll, zunächst zu erklären, wem, wie und wozu in unserem Land etwas beigebracht wird. Vielleicht wird dann der Begriff „belarussische Schule“ weniger neblig für all diejenigen, die noch nichts von diesem Land und seiner Kunst gehört haben.
Außerdem wundern sich viele Ausländer darüber, dass in der belarussischen bildenden Kunst klassische Formen dominieren. Allein das Vorhandensein der bildenden Kunst versetzt einen in Verwunderung. Dabei haben wir wenig synthetische und Konzeptkunst sowie aktuelle Kunst im Allgemeinen. Deshalb ist es wichtig, zu erklären, wem was in Belarus beigebracht wird.
Zunächst möchte ich betonen, dass in Belarus das Bildungsmonopol des Staates herrscht. Das heißt, dass in allen Gebieten, Bezirken und jedem gottverlassenen Dorf der Lehrer das unterrichten muss, was das staatliche Bildungswesen im jeweiligen Wissensgebiet vorsieht. Es kann in Belarus private künstlerische Bildungsanstalten schon geben, sie haben jedoch so gut wie keinen Einfluss auf den gesamten Bildungsprozess.
Ferner wäre darauf hinzuweisen, dass das heutige Belarus sein Bildungswesen im Bereich Kunst von der nunmehr selig ruhenden Sowjetunion vererbt hat. Dabei basierte die künstlerische Ausbildung in der UdSSR auf der Kaiserlichen Akademie der Künste in St. Petersburg.
In der Sowjetunion wurde der sozialistische Realismus für die einzig richtige Kunsttechnik gehalten. Wenn wir das Attribut „sozialistisch“ weglassen, bekommen wir eine Verbindung von Realismus und klassischem Akademismus.
Das Unterrichtsmodell jener Zeit war logisch und mächtig. Um zufällig das Kind mit dem Bade nicht auszuschütten, versuchte Belarus, im Gegenteil zu den anderen ehemaligen Sowjetrepubliken, vorhandene Errungenschaften zu erhalten. Daher kommen sowohl Realismus, als auch Ausdruckskraft und klassischer Ansatz in der künstlerischen Ausbildung vor. Von Salvador Dali stammt folgender Ausspruch: „Lerne zunächst malen wie die alten Meister. Dann mach, was du willst, und alle werden dich achten“. Ich kann für die Richtigkeit des Zitats nicht bürgen, aber ungefähr nach diesem Motto haben sich die besten Künstler des 20. Jahrhunderts gerichtet.
Übergang zum eigentlichen Informationsteil
Die Kunsterziehung als Schulfach gibt es in den ersten vier Klassen. Das sind alles Kinder von sechs bis zehn Jahren. Das Hauptziel dieses Unterrichts besteht in der allgemeinen Entwicklung von räumlichem und schöpferischem Denken, Farbempfindung und Feinmotorik. Man kann das also kaum als künstlerische Bildung bezeichnen.
Das künstlerische Bildungssystem besteht in Belarus aus drei Stufen. Das sind: Kunstschule, Kunstcollege und Kunsthochschule. Im Rahmen des einheitlichen Bildungswesens wird in den drei Stufe beinahe dasselbe unterrichtet, nur das Aufgabenfeld wird von Stufe zu Stufe erweitert. Nun kommen wird direkt zu der Frage, wem was in Belarus unterrichtet wird.
Stufe eins. Die Kunstschule. Sie ist von der allgemeinbildenden Schule getrennt. Den Eltern, deren Kinder in die Kunstschule kommen, lieget es nicht unbedingt daran, dass ihr Kind sein Leben mit der Kunst verbindet, vielmehr kümmern sie sich um die allgemeine ästhetische Erziehung des Kindes. In der Kunstschule lernen in der Regel Schüler von 8 bis 15 Jahren. Der Altersunterschied ist natürlich sehr groß. Man kann sehr grob folgende drei Etappen in der Kunstschule unterscheiden: Hemmungen abbauen, Interesse wecken, Grundlagen der Kunstwissenschaft vermitteln. Die ersten zwei Etappen sind für uns nicht besonders interessant. Vielmehr entwickeln sie beim Kind das Streben nach der Kunst und die Notwendigkeit, seine Gedanken mithilfe künstlerischer Mittel auszudrücken. Trotzdem eignen sich hier die Kinder unmerklich für sich selbst grundlegende künstlerische Fertigkeiten an. Die dritte Etappe baut hingegen auf den Grundlagen der akademischen Kunst auf. Obligatorisch sind hier die Fächer Zeichnung und Malerei. Der Unterricht ist klassisch aufgebaut. Hier heißt es Studie*, Studie und noch einmal Studie. In Belarus ist die künstlerische Bildung ohne analytische Erforschung der Umwelt mithilfe von Studien nicht denkbar. Die Schüler können ihre schöpferischen Ideen im Kompositionsunterricht realisieren, wo vieles allerdings von den ästhetischen Ansichten des Lehrers abhängt. Und damit die Kinder kein Rad erfinden und kein Amerika entdecken, wird in der Kunstschule kurze Kunstgeschichte als obligatorisches Fach unterrichtet.
Die Kunstschule endet mit der neunten Klasse der allgemeinbildenden Schule. Dann kommt die Zeit der professionellen Orientierung. Das ist schon die zweite Stufe des künstlerischen Bildungssystems: das Kunstcollege. Ohne Grundkenntnisse, die die Kunstschule vermittelt, ist es dabei ziemlich problematisch, in ein Kunstcollege aufgenommen zu werden.
Die für belarussische Kunstcolleges typischen Abteilungen:
- Malerei
- Design
- Kunstgewerbe
- Bildhauerei
Die Grundlage der Ausbildung bilden dieselben Studienzeichnungen und Malerei. Da sich das Aufgabenfeld in Kunstcolleges erweitert und man von Stillleben zu Modellen übergeht, kommen dem Schüler solche Fächer wie Perspektive und plastische Anatomie zu Hilfe. Es ist komisch, dass die Bücher von Gottfried Bammes die wertvollsten Lehrbücher zur plastischen Anatomie in belarussischen Kunstcolleges (und in der Kunstakademie) sind. Egal, dass das Buch auf Deutsch geschrieben ist! Egal, dass die Nutzer kein Wort auf Deutsch verstehen! Aber die wunderbaren Bilder! Die Skizzen! Man erzählt Legenden darüber, wo der große Deutsche wohnt und arbeitet: mal in Dresden, mal in Berlin… Aber das ist nicht der Punkt. Im Kunstcollege wird fortgesetzt, was in der Kunstschule begonnen hat: Den Aufbau des Bildes, der den Selbstausdruck voraussetzt, bestimmen klassische akademische Instrumente und die Fähigkeit, mit der Natur zu arbeiten, d.h., die Umgebung aufmerksam zu sehen, wahrzunehmen, zu verwandeln und zu verwirklichen. Alle Abteilungen werden um Spezialfächer ergänzt und das Fach Komposition wird etwa an den Abteilungen für Malerei, Kunstgewerbe oder Design völlig unterschiedlich unterrichtet. Den Abschluss der Ausbildung in den Kunstcolleges bildet eine Diplomarbeit. Von den zwanzigjährigen Absolventen werden natürlich keine Offenbarungen erwartet, aber die Diplomarbeit wird nach zwei Kriterien bewertet: die künstlerische Idee und das Vorhandensein elementarer professioneller Fertigkeiten. Die Bewertung erfolgt übrigens auf einer 10-Punkte-Skala.
Nach dem Abschluss des Kunstcolleges steht jeder Absolvent vor der Wahl. Man kann somit seine professionelle Ausbildung beenden und Arbeit in seiner Fachrichtung finden. Die belarussischen Colleges stellen nicht nur Diplome aus, sondern sie garantieren auch eine Arbeitsstelle (bei und heißt es Absolventenvermittlung). Je nach der Fachrichtung kann sich der Absolvent eine Arbeitsstelle finden. Viele entscheiden sich für diesen Weg behalten das Schaffen für den Selbstausdruck.
Es gibt noch die dritte Stufe des künstlerischen Bildungssystems. Das sind die Kunsthochschulen. In Belarus sind es: die Belarussische staatliche Akademie der Künste in Minsk, die Belarussische staatliche Universität für Kunst und Kultur in Minsk, die Witebsker staatliche Mascherow-Universität und viele andere Universitäten, die künstlerische Fakultäten haben.
Die meisten dieser Bildungsanstalten spezialisieren sich auf einzelne künstlerische Berufe oder, wie das Institut für Kultur, auf die Volkskunst. Den Höhepunkt der künstlerischen Bildung in Belarus bildet jedoch die Akademie der Künste. Hier erfolgt schon eine klare professionelle Differenzierung. In der Akademie gibt es Fakultäten für Tafel- und Monumentalmalerei, für Grafik und Bildhauerei, für künstlerische Bearbeitung von Glas und Metall, für alle Arten von Design** etc. Die Aufnahmeprüfungen bestehen wiederum aus „Studienzeichnung“ und „Studienmalerei“ sowie aus „Komposition“ unter Berücksichtigung der Anforderungen an der jeweiligen Fakultät. Und durch alle Studienjahre hindurch muss der Student beweisen, dass er die akademische Schule nichtsdestoweniger beherrscht.
Die Akademie gewährt den jungen Künstlern ein ziemlich breites Feld für Experimente, wo sie über die Grenzen der klassischen Kunst hinausgehen dürfen. Sie sollten aber auch auf harte und schonungslose Kritik gefasst sein. Obwohl die Dozenten Entwicklungen in der zeitgenössischen Kunst nicht ignorieren, fordern sie von ihren Studenten eine einwandfreie Kenntnis der sowjetischen Schule. Erst dann dürfen die Studenten Experimente machen. Bevor man auf etwas verzichtet, sollte man verstehen, was man verweigert und das Gesetz bewusst brechen. So lautet das Motto der meisten Dozenten. Kannst du das? Kannst du das sogar überzeugend machen? Dann bist du Künstler. Und es ist schon unwichtig, welche Formen man für den Selbstausdruck benutzt.
In den Kreisen der belarussischen Künstler ist folgendes Zitat aus einem alten satirischen Roman beliebt: „Sagen Sie mir als Künstler zum Künstler, können Sie malen?“ Je nach der Intonation können diese Worte sowohl ein freundlicher Witz als auch eine herabsetzende Kritik sein. Aber der Kern der Frage besteht in der Fähigkeit, mit der Natur und den klassischen Methoden zu arbeiten. Das ist eine Frage nach der Schule und beruflichen Kompetenz. Sie enthüllt das Fundament, auf dem man in Belarus Künstler werden kann: Fertigkeit im Malen und Zeichnen.
Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist. Ist es der Schnee von vorgestern oder etwas, was für die Zukunft bewahrt wird? Ich weiß nicht, wer in der Diskussion über Kunst Recht hat. Aber die belarussische Kunst gefällt mir größtenteils. Ich gehöre doch auch zu dieser Schule.
Der Begriff „Studie“ bezeichnet in der Kunst skizzenhafte Vorarbeit zu einem größeren Werk und eine detaillierte Untersuchung der Natur.
Die für belarussische Kunsthochschulen typischen Abteilungen:
- Grafik
- Bildhauerei
- Monumentalkunst
- Kunstgewerbe
- Innenausstattung
- Design (Industriedesign, Grafikdesign etc.)
- Kostüm und Textilien
- Pädagogik
- Volkskunst
Das Projekt bedankt sich beim Gomeler Staatlichen Kunstcollege, beim Minsker Staatlichen Glebow-Kunstcollege, bei der Belarussischen staatlichen Akademie der Künste, bei der Waschtschenko-Bildergalerie und der Firma „GomelSportServis“ für die Möglichkeit der Fotoaufnahmen des Lernprozesses und der Bestände.