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Moderne belarussische Kunst: Platz auf der Karte

Der zeitgenössischen Kunst ist eine Vielfalt an visuellen Experimenten typisch. Vor diesem Hintergrund erscheint die belarussische Kunstszene ziemlich traditionell. Die nationale künstlerische Schule strebt jedoch keine einheitliche akademische Realisierung an. Grafik, Malerei, Fotografie sowie andere Arten der bildenden Kunst entwickeln sich im Rahmen moderner visueller Tendenzen. Es sind eine Mischung und ein Zusammenspiel von Stilen zu beobachten, die der europäischen Kunst eigen sind.

Die belarussische Kunst der letzten 10-20 Jahre zeichnet sich durch eine Vielfalt und philosophische Verallgemeinerung künstlerischer Darstellungsformen. Neben einer regen Ausstellungtätigkeit werden hier internationale Pleinairs, Festivals sowie Ausstellungsprojekte durchgeführt. Die Künstler suchen aktiv nach ihren eigenen Wegen im Rahmen internationaler Trends. In Belarus gibt es eine neue Generation von Künstlern, die verschiedene Kunstströmungen unvoreingenommen wahrnehmen können.

Die Entwicklung der modernen belarussischen Fotokunst ist durch eine Vielseitigkeit von Genres, künstlerischen Methoden und Techniken sowie konzeptuellen Ansätzen gekennzeichnet. Typisch für die Künstlerwerke werden die Unterschrift des Autors, die Nummerierung von Fotographien, eine zusätzliche Bearbeitung von Negativen und Positiven, das Vorhandensein eines Autorentextes sowie das Besterben, grafische Besonderheiten einer Aufnahme zu betonen. Die modernen Fotokünstler zeichnen sich durch eine ausdrückliche ästhetische Ausrichtung sowie einen Verzicht auf Klischees im kompositionellen und bildhaften Denken aus. Unter den Künstlern der älteren und mittleren Generation sind folgende Namen zu nennen: Mikhail Borozna, Eugeny Kazulya, Anatoly Kleschuk, Valery Lobko, Gennady Karchevsky, Vadim Kachan, Igor Savchenko, Georgy Likhtarovich. Die jüngere Generation ist durch Polina Lezhanskaya, Yury Pevnev, Aleksander Vafik, Sergey Torbik u.a. vertreten.

In den letzten Jahren interessieren sich junge Autoren, die aus den Bereichen Grafik, Malerei, Montumentalkunst, Kino und Fernsehen kommen, zunehmend für Fotographie. Dieser Prozess bereichert die Fotokunst und leitet deren Entwicklung in Richtung Konzeptualismus. Es ist zu einer Besonderheit der letzten Jahrzehnte geworden, dass sich der Künstler vor allem auf die Innen- und nicht mehr auf die Außenwelt konzentriert. Diese Eigenschaft spiegelt das Massenbewusstsein der Bevölkerung wider.

Mitte der 1990er bis Anfang der 2000er Jahre erschienen auf der Belarussischen Grafikszene junge Autoren, die die Belarussische Staatliche Akademie der Künste absolviert haben: Pavel Tatarnikau, Yury Alisevich, Roman Sustov, Yury Jakovenko, Andrei Bassalyga. Sehr aktiv in ihrer Arbeit sind auch die Vertreter der älteren Generation, wie etwa Nikolai Kozlov, Valery Slauk, Vladimir Vishnevsky, Lev Alimov. In der belarussischen Grafik erweitert sich deutlich das Spektrum an Genres, Arten und Techniken. Häufig anzutreffen sind die Anzeichen von Synkretismus der Darstellungsformen sowie die Wechselwirkung verschiedener Kunstarten. Weit verbreitet sind Fotografik, Collage und Mischtechniken. Seit Ende der 1990er Jahre werden die Mittel der Computergrafik angewendet. Die Vertreter der belarussischen Grafikschule bekommen positive Kritik in der Kunstpresse und Auszeichnungen auf den internationalen Buch- und Kunstmessen. (Yury Jakovenko und Anzhela Malysheva wurden Sieger im Grand Prix auf der Internationalen Biennale der Gravur “Josep De Ribera” in Xàtiva, Spanien. Pavel Tatarnikau wurde zweimal mit dem Goldenen Apfel auf der Biennale der Illustration in Bratislava ausgezeichnet).

Die belarussische Staffelmalerei der letzten Jahrzehnte zeichnet sich durch eine Widerbelebung des Interesses an den koloristischen Elementen. Die für die sowjetische Kunst typischen thematischen Großformatbilder sind beinahe verschwunden. Ein großes Interesse weckt die Originalität der plastischen Sprache und die Fülle der ästhetischen Wirkung. Die thematische Kunst wurde durch eine Kunst der Metapher und des Konzeptes abgelöst.

Typisch für die belarussische Skulptur sind sowohl die Anknüpfung an die akademischen Traditionen als auch Experimente mit neuen Materialien und Technologien.

Das belarussische Bildungssystem im Bereich Kunst hat sich nicht wesentlich geändert und sieht ungefähr wie folgt aus: Kinderkunstschulen – Colleges für Kunst – Akademie der Künste. Die Belarussische Staatliche Akademie der Künste ist die einzige Kunstakademie im Land und bietet das klassische Studium in den Bereichen Grafik, Malerei, Skulptur, Monumentalkunst, Kunstgewerbe, Design und Kunstwissenschaft an. Ein Kunststudium ist außerdem an der Fakultät für Grafik der Staatlichen Universität Witebsk und an der Belarussischen Staatlichen Universität für Kultur und Künste möglich.

Die Ausstellungsnische besetzt der Belarussische Künstlerverband, in dessen Besitz sich der Kunstpalast - die mit1000 Quadratmetern weitaus größte Ausstellungshalle in Belarus – befindet. Außerdem gibt es in jeder größeren belarussischen Stadt einen Ausstellungssaal. Seit 1989 gibt es in Minsk das Museum für zeitgenössische Kunst.

Die Ausstellungen der modernen Kunst finden regelmäßig im Museum der Kunstakademie, im Nationalen Kunstmuseum, im Nationalen Historischen Museum, im Pawel- Maslennikow-Kunstmuseum in Mogiljow, in der Waschtschenko-Bildergalerie in Gomel, in der Kunstgalerie in Polozk sowie in weiteren Museen und Galerien in Grodno, Witebsk, Brest, Baranowitschi statt. In Belarus gibt es nicht mehr als zehn private Galerien, die sich fast ausschließlich mit der modernen Kunst befassen.

Die Existenz der Kunst hängt immer von der Öffentlichkeit ab. Der Begriff „Öffentlichkeit“ als Bezeichnung menschlicher Anstrengungen zur Organisation des sozialen Prozesses widerspricht dem Glauben an neue Medien und Technologien, die die Menschen zusammenbringen. Die Kunst im öffentliche Raum, ihre Genres und technische Mittel haben sich in den letzten Jahrzehnten wesentlich verändert. Die politischen und sozialen Hintergründe haben sich transformiert. Dennoch wird Public Art von den meisten nach wie vor auschließlich als Monumentalkunst verstanden. Das ist durchaus verständlich, denn zum einen erfüllt die Monumentalkunst traditionell eine ästhetische, memoriale sowie eine erzieherische Funktion und zum anderen versteht der größte Teil der Bevölkerung unter Kunst ausschließlich traditionelle Formen und Arten der bildenden Kunst. Infolge globaler und lokaler politisch-gesellschaftlicher Änderungen im späten 20. Jahrhundert verwandelten sich viele historische Gedenkstätten in „die Spuren des Zeitalters“. Die moderne Kunst im öffentlichen Raum versucht ein Mittel zur Verbindung gesellschaftlicher Interessen und des öffentlichen Raumes zu werden. Es entstehen neue kulturelle und soziale Modelle von Entwicklung, Finanzierung und Umsetzung der Kunstprojekte im öffentlichen Raum.

Im modernen rational organisierten und strukturierten städtischen Raum bleibt wenig Platz für den künstlerischen Ausdruck. Für Street Art und Graffiti wird jeder zugängliche Raum benutzt. Man schafft neue Skulpturen, Glasfenster, Mosaiken und Graffiti. Es ist eine Interaktion zwischen dem künstlerischen und sozialen Raum zu beobachten. Die Künstler wollen Kunst aus den Museen und Galerien holen und in die Öffentlichkeit bringen.

Die belarussische Kunst leidet immer noch unter den Folgen der langjährigen Isolierung. Hier finden weder Biennalen noch Triennalen oder andere große Ausstellungen der zeitgenössischen Kunst statt. Die belarussischen Künstler haben bisher offiziell an keinen bedeutenden internationalen Ausstellungen teilgenommen.

Belarus bleibt nach wie vor eine Terra incognita für die absolute Mehrheit der europäischen Kuratoren und Kunstwissenschaftler. Und es liegt nicht nur an Sprachbarrieren. Wenn man davon ausgeht, dass ein durchschnittlicher europäischer Kurator Informationen zur Kunst eines Landes im Internet sucht, ist es im Fall Belarus nicht zuverlässig. Viele belarussische Museen und Galerien führen ihre eigenen Webseiten, aber in der Regel fehlen dort Übersichtsartikel bedeutender belarussischer Kunstwissenschaftler und Kritiker. Die überwiegende Mehrheit der belarussischen Künstler hat keine eigenen Seiten im Internet. Besser steht es um die Photographen, die seinerzeit Geldmittel dafür bekommen haben.

Es ist also verständlich, warum ausländische Kuratoren entweder gar nicht oder nur noch mit den belarussischen Emigranten zusammenarbeiten, die die belarussische Staatsbürgerschaft haben oder hier geboren wurden und europäische Kunstakademien absolviert haben. Ansonsten beschränkt sich die Zusammenarbeit auf einige wenige belarussische Künstler, die Kontakte zu europäischen und amerikanischen Galerien pflegen.

Die Frage „wo liegt Belarus?“ ist leider immer noch aktuell für das europäische Publikum. Heute noch bekommen Bibliotheken in Minsk Einsendungen mit ausländischen Zeitungen und Zeitschriften, auf denen steht „Minsk, Ukraine“ oder „Minsk, Russland“.

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